Wenn Worte fehlen, beginnt die Musik: Die Kraft von Liedern beim Abschied
- Marco Hutschenreuther
- 30. Mai
- 3 Min. Lesezeit

Es gibt diese eine Melodie. Sie erklingt – und plötzlich ist er wieder da. Der Vater, der am Sonntagmorgen mit genau diesem Lied in der Küche stand und Kaffee kochte. Die Schwester, die immer lachte, wenn der Refrain begann. Die Freundin, deren Lieblingslied man nie mochte – und nun spielt es, und alles in der Brust wird eng.
In diesen Momenten wird klar: Musik kann etwas, was kein Wort vermag. Sie erinnert. Sie berührt. Sie bringt zum Weinen oder auch zum Lächeln. Und genau deshalb spielt Musik eine so wichtige Rolle in einer Trauerfeier oder wie ich es gerne nenne: Lebensfeier.
Musik als Teil der Lebensgeschichte
In einer Trauerrede erzähle ich immer eine Geschichte – die Geschichte eines gelebten Lebens mit vielen Meilensteinen. Und die Musik ist dabei oft mehr als ein Rahmen. Sie ist Kapitelüberschrift, Zwischenton, Epilog. Ein Lied zum Beginn kann die Tür öffnen. Ein Stück mitten in der Rede gibt Raum zum Atmen, zum Fühlen. Und der letzte Ton am Ende kann wie ein leiser Abschiedsgruß klingen. Wie ein „Danke, dass es dich gab“. Es ist ein leiser Dialog zwischen Worten und Klängen. Und manchmal sagt auch ein Lied mehr als jede Rede.

Wenn Musik ein Leben erzählt
In meiner Arbeit als Trauerredner durfte ich viele verschiedene Abschiede gestalten – stille, feierliche, schlichte, bunte. Und jedes Mal war es die Musik, die wie ein roter Faden durch den Abschied führte. Nicht selten beginnt eine von mir gestalteten Abschiedsfeier mit einem Lied – bevor überhaupt ein Wort gesprochen wird. Und manchmal reicht auch nur ein einziger Akkord, um einen ganzen Raum in Tränen zu tauchen oder mit lachenden Gesichtern zu füllen.
Einmal erklang "Fields of Gold" von Sting in einer Trauerhalle. Niemand sagte ein Wort. Die ersten Takte genügten. Ein Schluchzen. Dann Stille. Und man sah: Dieses Lied trug eine Geschichte. Zwischen zwei Menschen. Zwischen Leben und Abschied. Es sind genau diese Momente, die Gänsehaut machen. Wenn Musik nicht einfach nur erklingt, sondern etwas öffnet. Eine Erinnerung. Ein Herz. Eine Träne, die lange gehalten wurde.
Ich erinnere mich aber auch an eine Feier, bei der das Lied "Fix You" von Coldplay lief. Die Tochter hatte es ausgewählt, weil ihr Vater immer sagte: „Ich kann dich nicht vor allem beschützen, aber ich helfe dir beim Aufstehen.“ Es war sein Lied, ohne dass er es je selbst gehört hatte.
Dann war da noch eine Trauerfeier, bei der zum Abschied das Lied „Ich würd dich gern besuchen“ von Unheilig gespielt wurde. Die Witwe hatte es ausgewählt, weil ihr Mann dieses Lied immer dann gehört hatte, wenn das Leben schwer wurde. Sie sagte: „Er hat nie darüber gesprochen, wie sehr ihn der frühe Tod unseres Sohnes mitgenommen hat – aber dieses Lied lief wochenlang in Dauerschleife.“ Als die ersten Töne erklangen, senkten sich viele Köpfe, und man spürte: Dieses Lied war seine Art gewesen, zu trauern – still, aber tief. Es war, als würde er damit noch einmal selbst zu uns sprechen.
Einen besonders stillen Moment erlebte ich, als bei einer sehr intimen Zeremonie „Let It Be“ von den Beatles erklang. Die Verstorbene hatte ihrer Tochter früher immer diesen Song vorgesungen, wenn sie traurig war. Sie erzählte mir: „Sie hat mir nie viele Ratschläge gegeben. Aber wenn sie den Refrain sang, wusste ich, dass ich mich stets auf ihre Liebe und Unterstützung verlassen kann.“ Die Musik war nicht laut. Aber sie erfüllte den ganzen Raum – wie eine Umarmung.
Und dann war da noch eine Feier, bei der zum Abschluss „Highway to Hell“ von AC/DC erklang.
Ein Abschied für einen Mann, der sein ganzes Leben selber als Rockmusiker auf der Bühne stand. Seine Freunde hatten extra Gitarren mitgebracht und spielten live ein persönliches Abschiedskonzert für ihren Leadsänger. Es war laut. Es war wild. Und plötzlich klatschten und sangen auch die Gäste mit. Es war keine Respektlosigkeit. Im Gegenteil: Es war ein Fest des Lebens. So wie es sich der Verstorbene auf dem Sterbebett gewünscht hatte.

Abschied mit Musik – ein leiser Trost
Am Ende einer Trauerfeier gehen die Trauergäste manchmal noch ein Stück gemeinsam, hin und wieder aber auch getrennte Wege. Aber eines bleibt immer gleich: Die Musik klingt noch lange nach. Im Kopf. Im Herzen. Und vielleicht – ganz leise – auch im Wind.
Ein Lied kann trösten. Oder erinnern. Oder einfach nur da sein. Wie eine Hand auf der Schulter. Wie ein letzter Blick. Wie ein stilles „Leb wohl“.

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