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Wo ist Mama jetzt? - Wenn Kinder fragen, wohin ein geliebter Mensch gegangen ist.



Ein Kind hält die Hand eines Erwachsenen am Grab
Ein Kind hält die Hand am Grab

Vor einigen Wochen stand ich mit den Angehörigen am Grab einer jungen Mutter. Die Sonne schien und es waren einige weisse Wolken am Himmel. Die weissen Rosen wirkten fast zu lebendig für diesen Moment. Ich hatte gerade mit der Trauerzeremonie begonnen und erzählte wie die junge Frau mit ihren 27 Jahren tapfer bis zum Schluss gegen den Krebs kämpfte. Plötzlich zog eine kleine Hand an meinem Ärmel.


„Wo ist meine Mama jetzt?“


Ihr Sohn, 4 Jahre alt, sah mich mit verweinten Augen an. Nicht trotzig. Nicht verzweifelt. Nur ehrlich. Roh. Mit einer Frage, die nicht zu einem Kind, sondern eher zu einem Erwachsenen gehörte. Und plötzlich war da nichts mehr – außer dieser einen Frage und alle sahen mich an. Die Frage stand im Raum wie ein stiller Schrei – ungefiltert, rein, ungeschützt. Und in diesem Moment wurde mir wieder klar: Der Tod konfrontiert uns nicht nur mit Schmerz, sondern auch mit den Fragen der Kleinsten. Und diese Fragen verdienen unsere ganze Aufmerksamkeit.


Wenn Kinder nach dem Tod der Mutter fragen


Trauerredner Marco Hutschenreuther
Trauerredner Marco Hutschenreuther

Als Trauerredner begleite ich Menschen durch Zeiten, in denen oft Worte fehlen. Ich sehe Tränen, Sprachlosigkeit, Erinnerungen – und oft auch Kinder, die mitten im tiefsten Schmerz etwas sagen, das einem das Herz zerreißt und gleichzeitig Hoffnung schenkt. Sie stellen die Fragen, die wir Erwachsenen oft verdrängen:


„Ist Mama jetzt ein Engel?“

„Kann Mama mich noch hören?“

„Kommt Mama wieder, wenn ich lieb bin?“


Diese Fragen sind keine kindliche Naivität – sie sind Ausdruck einer unendlich großen Liebe und eines noch größeren Verlusts. Und sie fordern uns heraus: ehrlich, klar und mitfühlend zu antworten.


Ein Moment, der mich nie losliess


Immer wieder erlebe ich Augenblicke, die sich tief in mein Herz einbrennen. Einer davon war die Trauerfeier eines jungen Vaters. Während die Erwachsenen versuchten, mit ihrer Fassungslosigkeit umzugehen, malte seine kleine Tochter still auf einem Blatt Papier.

Als wir später am Grab standen, legte sie das Bild auf den Sarg. Eine Himmelsleiter die bis zu Wolken reichte, war darauf zu sehen, bunt und schief gemalt. Oben stand „Papa“, unten drei Kinder mit großen Augen. Dann flüsterte sie:


„Wenn wir doll genug träumen, kann Papa uns besuchen.“


Ich spürte eine Gänsehaut, wie ich sie selten erlebe. Und ich wusste: Diese Kinderseele hat einen eigenen Weg gefunden, mit dem Verlust umzugehen. Einen Weg voller Sehnsucht, aber auch voller kindlicher Weisheit.

Solche Momente zeigen mir immer wieder, dass Kinder eigene Wege in ihrer Trauer finden – wenn man sie lässt. Doch oft brauchen sie uns Erwachsene, um diesen Weg gehen zu können. Orientierung, Halt, Trost.


Was Kindern wirklich hilft


Vielleicht stehst du selbst gerade vor dieser Aufgabe. Vielleicht hast du ein Kind an deiner Seite, das seine Mama oder den Papa verloren hat. Oder du möchtest jemandem helfen, der nicht weiß, wie er mit einem trauernden Kind sprechen soll.

Aus meiner Alltag als Trauerredner erzähle ich hier, was ich gelernt habe – in der Hoffnung, dass es stärkt und begleitet.


1. Sag die Wahrheit. Aber so, dass ein Kind sie tragen kann.


Der Impuls, Kinder vor der harten Realität zu schützen, ist nur allzu menschlich. Doch Sätze wie „Mama ist eingeschlafen“ oder „Mama ist auf einer langen Reise“ können mehr verwirren als helfen. Kinder spüren, wenn etwas nicht stimmt – und verdienen Ehrlichkeit, in einer Sprache, die sie verstehen.

Ein Vater sagte seiner sechsjährigen Tochter nach unserem Gespräch:


„Mama war sehr krank. Ihr Körper konnte nicht mehr. Jetzt lebt sie nicht mehr. Aber sie bleibt in unserem Herzen – für immer.“


Das Mädchen hörte zu. Und dann sagte sie leise:


„Dann kann ich ihr ja noch alles erzählen, wenn ich will.“


Kinder begreifen den Tod anders. Aber sie begreifen Verlust, Liebe – und die stille Hoffnung, dass etwas bleibt.


2. Erlaub die Trauer – in allen Farben.


Trauer bei Kindern ist nicht linear. Sie kommt in Wellen. Manchmal in Tränen, manchmal in Wut, manchmal mitten im Spiel. Und all das ist richtig.

Ich erinnere mich an einen Jungen, dem ich bei der Trauerfeier einen Briefumschlag mitgab – beschriftet mit: „Nur für Mama“. Ich sagte ihm:


„Du kannst ihr schreiben. Alles, was du fühlst. Wut, Liebe, Fragen – alles darf da rein.“


Drei Wochen später meldete sich sein Vater. Der Junge hatte nicht einen, sondern gleich zwölf Briefe geschrieben – manche traurig, manche voller Fragen, manche sogar lustig.


Trauer braucht Raum. Und manchmal reicht ein leeres Blatt, um eine Brücke zwischen Himmel und Erde zu bauen.


3. Schaffe kleine Rituale, die Halt geben.


Manchmal sind es die kleinen Gesten, die Großes bewirken. Rituale geben Kindern Orientierung, wenn alles andere aus den Fugen gerät.


Luftballons steigen in den Himmel. Letzte Grüsse und Botschaften begleiten den Verstorbenen auf dem letzten Weg
Luftballons mit letzten Botschaften steigen in den Himmel

Eine Familie, die ich begleitete, entwickelte mit mir ein persönliches Abschiedsritual: „Himmelsballons“. Einmal im Monat schrieb jedes Kind einen Wunsch an die Mama, befestigte ihn an einem Luftballon – und gemeinsam ließen sie ihn steigen.

Die jüngste Tochter sagte:


„Ich glaube, Mama sammelt die alle. Und macht daraus Geschichten für den Himmel.“


Ob das wirklich so ist? Vielleicht nicht in unserem Sinne. Aber für ein trauerndes Kind kann es Trost bedeuten – und das zählt.


4. Hab den Mut, keine Antwort zu haben.


Manchmal stellen Kinder Fragen, auf die es keine Antwort gibt. Und das darf so sein.

Bei einer Trauerfeier fragte mich ein Siebenjähriger mitten in der Rede:


„Warum musste meine Mama sterben?“


Ich sah den Vater an – seine Augen voller Tränen – und sagte leise:


„Das weiß niemand ganz genau. Was du aber wissen musst und nie vergessen darfst: Sie wollte nicht gehen. Und sie hätte dich so gern noch viel länger begleitet.“


Es wurde ganz still. Dann nahm der Junge meine Hand. Manchmal ist es nicht die Antwort, die hilft – sondern das ehrliche Dasein.


Traurig sein ist wichtig. Es hilft Hoffnung und Kraft für die Zukunft zu finden.


In solchen Momenten steht jeder von uns mitten im Sturm. Ein Kind weint nachts nach seiner Mama. Als Erwachsene suchen wir Worte an Stellen, wo eigentlich nur Schweigen ist.

Niemand muss das aber alleine tragen. Es ist okay, nicht stark zu sein. Es ist okay, wenn Tränen fliessen, während man versucht zu trösten. Kinder brauchen keine perfekten Eltern – sie brauchen echte. Die fühlen. Die ehrlich sind. Die nicht alles wissen, aber an der Seite bleiben.


Was bleibt


Wenn ich mit Kindern über den Tod spreche, frage ich am Ende oft:


„Was würdest du Mama sagen, wenn sie jetzt einen Moment lang zuhören könnte?“


Die Antworten berühren mich jedes Mal:


– „Dass ich sie lieb hab.“

– „Dass sie die beste Mama war.“

– „Dass ich auf Papa aufpasse.“


Liebe stirbt nicht. Sie verändert nur ihre Form. Sie bleibt – in Erinnerungen, in Geschichten, in Bildern, in kleinen Ritualen. Und in Kinderaugen, die nach oben schauen und sagen:


„Mama ist jetzt ein Engel. Aber ich hab sie immer noch.“


Trauer braucht mehr als Worte – sie braucht Menschen


„Sie haben nicht nur Worte für unseren Abschied gefunden – Sie haben uns gezeigt, dass wir nicht alleine fühlen. Mein Kind hat in Ihrer Nähe wieder geatmet.“


Diese Worte einer Mutter haben sich in mein Herz eingeprägt. Weil sie zeigen, dass es nicht nur um Reden geht – sondern ums Dasein. Ums Mitfühlen. Ums Aushalten. Darum, einem Kind wieder Luft zum Atmen zu geben. Und einem Vater, einer Familie, das Gefühl geben: Wir sind nicht allein.

Ich weiß, wie schwer dieser Weg ist. Ich kenne das Schweigen, die Tränen mitten im Satz, die kindlichen Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Und genau deshalb bin ich da. Nicht mit perfekten Sätzen. Sondern mit ehrlicher Begleitung. Mit offenen Ohren. Mit Herz.


Die Hand reichen um zu helfen, wichtig auf dem Weg durch die Trauer
Die Hand reichen um zu helfen



 
 
 

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